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Ausgabe September/Oktober 2024
ForuM-Bulletin #5 |
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Inhaltswarnung: In diesem Newsletter geht es um die Aufarbeitung sexualisierter Gewalthandlungen. Einige Schilderungen können belastend wirken. Informationen zu Hilfsangeboten finden Sie hier.
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Besuch aus Berlin: Kerstin Claus (3. v. l.), die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, mit den Sprecherinnen den Beteiligungsforums Nancy Janz, Dorothee Wüst, Maria Loheide, Detlev Zander und der Bevollmächtigten des Rates der EKD, Anne Gidion. Foto: Frank Hofmann |
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Liebe Leserin, lieber Leser,
das war ein konstruktiver Austausch, der zu einem besseren beiderseitigen Verständnis geführt hat. Kerstin Claus, die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, besuchte die Septembersitzung des Beteiligungsforums (BeFo) in Fulda. Nach diesem Auftakt wartete eine volle Tagesordnung: In den Arbeitsgruppen waren unter anderem drei zentrale Beschlussvorlagen entstanden, die nach einstimmiger Annahme durch das BeFo in die Kirchenkonferenz und die Ratssitzung gingen. Die Details zu diesem wichtigen Schritt können Sie im ersten Beitrag lesen.
Er war einer der ersten, der offen über das Thema sprach, aber vor 30 Jahren hörte man ihm kaum zu: Dem Schriftsteller Bodo Kirchhoff wurde in einem evangelischen Internat sexualisierte Gewalt angetan. Wie er heute darauf zurückblickt und was er sich von der Kirche wünscht, verriet er uns im Interview.
Das Praxisbeispiel kommt diesmal aus Württemberg: Miriam Günderoth, die dortige Referentin für Prävention erklärt, auf welche Widerstände und Vorurteile gegen Schutzkonzepte sie in den Gemeinden stößt und wie sie damit umgeht.
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Nicole Toms (ganz links) und Anna-Lena Franke (ganz rechts) erläutern in der Kirchenkonferenz den ForuM-Maßnahmenplan und die Anerkennungsrichtlinie in der Fassung, die das Beteiligungsforum freigegeben hat. Dazwischen die amtierende Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs, Kirchenpräsident Volker Jung und der Präsident des Kirchenamtes, Hans-Ulrich Anke. Foto: Frank Hofmann |
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Beschlüsse der EKD-GremienForuM-Maßnahmenplan und reformiertes Disziplinargesetz
Die Gremien Beteiligungsforum (BeFo), Kirchenkonferenz und Rat haben in ihren September-Sitzungen für drei Vorhaben, die die Rechte von betroffenen Menschen stärken, grünes Licht für den weiteren Abstimmungsprozess gegeben: eine Reform der Disziplinarverfahren, den Maßnahmenplan, der aus der im Januar vorgestellten ForuM-Studie entwickelt wurde, sowie einen Entwurf für eine Reform der Anerkennungsverfahren.
Disziplinarrecht
Die vorgeschlagenen Änderungen weiten die Rechte der Betroffenen bei kirchlichen Disziplinarverfahren stark aus und gehen dabei weit über die Rechte von Betroffenen in staatlichen Disziplinarverfahren hinaus. Es soll die Möglichkeit zur weitgehenden Akteneinsicht geschaffen werden, darüber hinaus soll ein Informationsrecht über den Verfahrensstand und das Recht, sich durch das gesamte Verfahren von drei Personen begleiten zu lassen, deren Kosten übernommen werden, eingeräumt werden.
Die Änderungen werden der Synode im November zur Beschlussfassung vorgelegt. Derzeit entsteht ein Leitfaden für betroffene Menschen, die als Zeug*innen in Disziplinarverfahren aussagen.
MaßnahmenkatalogIn der ForuM-Studie wurden der Kirche und der Diakonie 46 Empfehlungen auf den Weg gegeben, mit denen sich das BeFo in vier Arbeitsgruppen beschäftigte. Daraus entstand ein Katalog mit zwölf Maßnahmen, in denen alle ForuM-Empfehlungen berücksichtigt und miteinander in Bezug gesetzt wurden. Der Maßnahmenplan soll im November der EKD-Synode zur Beschlussfassung vorgeschlagen werden. Dabei geht es unter anderem um die Schaffung einer zentralen Ombudsstelle für Betroffene, um theologische Klarstellungen und um eine Novellierung der Gewaltschutzrichtlinie. AnerkennungsrichtlinieFür die Anerkennung von zugefügtem Unrecht in Fällen sexualisierter Gewalt ist eine Reform der Anerkennungsverfahren im Bereich der EKD und der Diakonie geplant. Ein Entwurf dazu wurde in langem Ringen und Abwägen von Betroffenenvertreter*innen und kirchlich-diakonischen Beauftragten in der BeFo-AG »Anerkennung« erarbeitet. Größtmögliche Betroffenenorientierung und Vereinheitlichung waren maßgebliche Kriterien. Dieser Entwurf wird nun von allen Mitgliedern des Beteiligungsforums unterstützt. Kernpunkte der Richtline sind: Die Landeskirchen und die Diakonie streben ein einheitliches Vorgehen und gemeinsame, dezentrale Anerkennungskommissionen in regionalen Verbünden an. Die Mitglieder der Kommissionen sollen ausnahmslos keine Beschäftigten der Kirche und der Diakonie sein, um unabhängige Verfahren zu gewährleisten. Betroffene Personen sollen einen Antrag über ein niederschwellig zugängliches, online verfügbares Formular stellen können. Der Antrag soll im Verfahren wie bisher auf Plausibilität geprüft werden, eine Beweiserhebung ist nicht geplant. Vorgesehen ist im aktuellen Entwurf zudem ein Recht auf Gespräch für Betroffene sowie auf Wunsch deren fachliche Begleitung und Bereitstellung von umfangreichen Informationen während des gesamten Verfahrens. Beabsichtigt ist ein einheitliches Leistungsmodell. Die Anerkennungsleistungen sollen in Verantwortung für das Versagen der Gemeinschaft der Gliedkirchen in der EKD und der Diakonie gewährt werden. Sie setzen sich bei strafbaren Taten (nach dem 13. Abschnitt des StGB) zusammen aus einer pauschalen Leistung und einer individuellen Leistung. Bei nicht strafbaren Taten würde die pauschale Leistung laut derzeitigem Entwurfsstand entfallen. Für eine vergleichbare Spruchpraxis soll sich die individuelle Leistung an einem gemeinsamen Anhaltskatalog orientieren, der vom Beteiligungsforum in Abstimmung mit den Anerkennungskommissionen entwickelt wird. Dabei sollen nicht nur das Geschehen an sich, sondern auch dessen individuelle Folgen berücksichtigt werden. Die Kirchenkonferenz und der Rat der EKD haben diesen Entwurf begrüßt und diesen nun in ein Stellungnahmeverfahren an die Landeskirchen und diakonischen Landesverbände überwiesen, damit bis zum 30. November Rückmeldungen und Vorschläge eingebracht werden können. Die Ergebnisse werden anschließend in der BeFo-AG »Anerkennung« ausgewertet, die im Lichte der Eintragungen den Entwurf überarbeitet. Die finale Fassung muss abschließend vom Beteiligungsforum beschlossen werden. Die neue Anerkennungsrichtlinie kann dann frühestens im März 2025 vom Rat der EKD in Kraft gesetzt werden.
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Neu im Kreis der kirchlich Beauftragten: Monika Memmel (2. v. l.) und Heike Springhart (4. v. l.). Weiterhin dabei bleiben: Mareike Dee, Anna-Nicole Heinrich, Maria Loheide, Dorothee Wüst, Franziska Bönsch und Jan Lemke (v. l.). Foto: Frank Hofmann |
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Beteiligungsforum in Fulda Neue Gesichter
Am ersten Septemberwochenende tagte das Beteiligungsforum in neuer Formation. Im Kreis der kirchlich Beauftragten waren Heike Springhart, Landesbischöfin der Württembergischen Kirche, und Monika Memmel, Referentin für Erziehung, Aufarbeitung und Prävention beim Diakonischen Werk Württemberg, erstmals mit dabei. Landesbischof Tobias Bilz aus Dresden, ebenfalls neu an Bord, war verhindert. Bischöfin Kirsten Fehrs, Daniela Fricke (Diakonie Westfalen) und Landesbischof Christoph Meyns aus Braunschweig waren zuvor ausgeschieden.
Auch die Betroffenenpartizipation wird erweitert. Im Oktober ist ein Workshop, in dem Betroffene für einen Gaststatus in einigen AGs des BeFos gefunden werden sollen.
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»Die Gerechtigkeit Gottes in der Welt beginnt nicht mit der Rechtfertigung der Täter der Sünde, sondern mit der Rechtfertigung der Opfer der Sünde, des Unrechts und der Gewalttat.«
Jürgen Moltmann (1926 – 2024) |
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Der Schriftsteller Bodo Kirchhoff schilderte seine Missbrauchserfahrung 2010 im Spiegel und nahm in seinen Romanen mehrfach darauf Bezug. Foto: Heike Huslage-Koch |
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Interview mit dem Schriftsteller Bodo Kirchhoff»Ein Foto würde mir helfen, mein inneres Bild zu korrigieren«
Bodo Kirchhoff, 76, einer der bekanntesten deutschen Schriftsteller, wurde als 12-jähriger Schüler in einer evangelischen Internatsschule von einem Kantor und Lehrer mehrfach sexuell missbraucht. Eine Erfahrung, für die er in seinen Romanen eine Sprache fand.
Herr Kirchhoff, Sie haben bereits 1993 über Ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt berichtet. Aber erst 2010 nach einem Spiegel-Artikel interessierte sich eine größere Öffentlichkeit dafür.
Ja, es hat sich zweifellos etwas verändert. Als ich davon das erste Mal erzählte, gab es überhaupt keine Reaktion darauf. Was mich zu dem Spiegel-Artikel veranlasst hat, war, dass man eigentlich nie genau wusste, was mit dem Wort »Missbrauch« gemeint war – natürlich bedeutet das für jeden Betroffenen etwas anderes, manchmal können dazu noch Blicke genügen und ein falsches »Tätscheln«, ich wollte es allerdings, was mich betraf, sehr genau formulieren und deutlich machen, dass in dem Begriff eine große Bandbreite liegt, die von plumper Gewalt bis zu einer hilflos erwiderten Liebe reichen kann. Ich wollte mit dem Artikel und mit dem autobiografischen Roman »Dämmer und Aufruhr« klar machen, wovon die Rede ist. Inzwischen ist die Sensibilisierung ungleich größer geworden.
Sie sind auch deshalb Schriftsteller geworden, weil Sie eine Sprache für Ihre Erfahrungen finden wollten – ein Problem, vor dem viele betroffene Menschen stehen. Muss jeder seine eigene Sprache finden?
Ich habe immer versucht, überhaupt eine Sprache für Sexualität zu finden. Das hat immer auch mit Scham zu tun. Ich hatte damit später keine Probleme, habe unter anderem Psychologie studiert und ich bin sozusagen mit der Psychoanalyse groß geworden und hatte jede Gelegenheit über mich selbst nachzudenken. Etwas, was vielen Missbrauchsopfern fehlt. Aber die meisten Menschen haben eine Schamschranke. Wenn die überwunden ist, findet man auch Worte dafür.
Die Einrichtung, in der Sie als Kind missbraucht wurden, das Internat in Gaienhofen, wurde von der Evangelischen Kirche betrieben. Haben Sie auch ein institutionelles Versagen erlebt? Was hätten Sie sich für eine bestmögliche Aufarbeitung noch gewünscht?
Ja, selbstverständlich. Damals waren sicher etliche betroffen, eine Zahl wäre hier aber reine Spekulation. Es war niemand da, der das auch nur annähernd erfassen konnte. Es wurde auch viel unter den Teppich gekehrt. Und am schlimmsten war, dass wir regelrecht verhört wurden und über die Vorfälle reden mussten, nachdem der Typ weg war. Ich habe jahrelang versucht – und versuche noch heute –, ein Foto von diesem Mann zu bekommen. Ich würde gern mein inneres Bild, das so Richtung Winnetou geht, zurechtrücken. Vielleicht kann mir dabei die Kirche helfen.
Hat das auch Ihr Verhältnis zur Kirche beeinflusst?
Teilweise. Schwerer wog, dass meine Schwester wegen Belanglosigkeiten wie Cola trinken und Händchen halten aus dem Internat rausgeschmissen wurde. Ich bin aus der evangelischen Kirche ausgetreten, aber meine Kinder sind getauft. Ich bin nicht völlig kirchenfern.
Das Motiv sexualisierte Gewalt greift Kirchhoff unter anderem in seinen Werken Parlando, Die Liebe in groben Zügen und insbesondere in dem autobiografischen Roman Dämmer und Aufruhr auf. Für Widerfahrnis erhielt er den Deutschen Buchpreis, sein neuestes Werk heißt Seit er sein Leben mit einem Tier teilt. In seinen Schreibkursen am Gardasee helfen er und die Lektorin Ulrike Bauer auch anderen, eine Sprache für ihre Erfahrungen zu finden.
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Die promovierte Politologin Birgit Mangels-Voegt hat etliche Partizipationsverfahren und Bürgerbeteiligungsprozesse begleitet sowie Podiumsdiskussionen und Tagungen moderiert. Foto: privat |
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Begleiterin des Beteiligungsforums: Birgit Mangels-Voegt »Extrem engagiert und kraftvoll«
Die neutrale Prozessbegleiterin Birgit Mangels-Voegt hat einen wesentlichen Anteil an der konstruktiven Arbeit des Beteiligungsforums. Sie unterstützt die Suche nach Lösungen und sorgt zusammen mit der Moderatorin und der Supervisorin dafür, dass die Argumente aller Mitglieder in die Ergebnissuche einfließen.
Was hat Sie daran gereizt ein Beteiligungsmodell für Betroffene sexualisierter Gewalt im Kontext der evangelischen Kirche und Diakonie zu entwickeln?
Ein Partizipationsformat zu entwickeln und gut aufzusetzen, wenn die Konfliktlagen erkennbar so groß sind, ist eine besondere Herausforderung. Die Situation zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche war verfahren. Es herrschte ein gewachsenes massives Misstrauen gegenüber handelnden Personen in der Institution Kirche und Diakonie. In dieser Situation war es mir wichtig, ein Beteiligungsmodell zu entwickeln, in dem sich die Beteiligten wiederfinden. Eines, das den betroffenen Personen nicht nur Beteiligung auf Augenhöhe, sondern gleichberechtigte Mitentscheidung ermöglicht. Und zwar auf höchster kirchlicher und diakonischer Ebene. Es brauchte ein Modell, das zeitnahe Veränderungen für von sexualisierter Gewalt betroffenen Personen erzielen kann. Das war mein Ziel. Und mir war wichtig, dass ich sowohl in der Konzeption des Modells als auch in der fortwährenden Begleitung dieses Prozesses, weisungsunabhängig von Kirche und Diakonie bin.
Was macht eine Prozessbegleitung überhaupt? Und was sind für Sie die besonderen Herausforderungen an der Arbeit im Beteiligungsforum?
Die Prozessbegleitung hat das Beteiligungsverfahren stets im Blick. Sie ist zur Allparteilichkeit verpflichtet, achtet auf einen angemessenen Kommunikationsfluss zwischen den Konfliktparteien, hilft den Mitgliedern im Beteiligungsprozess gut und effektiv miteinander zu kommunizieren und die jeweiligen Positionen der Gruppen zu verdeutlichen. Die Verantwortlichkeit bezieht sich mehr auf den Prozess als auf den Inhalt. Zuweilen kann man kreative Impulsgeberin sein, wenn Lösungen sichtbar werden. Als Prozessbegleitung schaffe ich also gezielt Räume, die den Austausch und Dialog fördern. Neben Handwerk und Partizipationsexpertise braucht es dabei viel Empathie für die beteiligten Menschen.
Ich werde im Beteiligungsforum unterstützt von einer Moderatorin, die die Treffen moderiert und einer Psychologin und Supervisorin, die ihre traumatherapeutische Expertise einbringt. Zusammen ist das Begleitteam dafür zuständig, die vielfältigen Herausforderungen eines Beteiligungsprozesses gut mit der Gruppe zu bewältigen. Denn dieser Beteiligungsprozess ist persönlich belastend für alle Mitglieder und erfordert immer wieder genau hinzuschauen, welche Psychodynamiken im Ringen um eine gute Lösung sich auftun.
Wie arbeiten die Betroffenen und die Beauftragten zusammen?
Die Mitglieder des Beteiligungsforums arbeiten sowohl in den Treffen des gesamten Beteiligungsforum als auch in den einzelnen Arbeitsgruppen intensiv an den einzelnen Themen und haben dadurch bereits sehr umfangreiche Vorhaben auf den Weg bringen können. Einige stehen kurz vor dem Abschluss. Die Betroffenen im Beteiligungsforum sind extrem engagiert und kraftvoll. Sie fordern energisch Dinge ein und erwarten, dass etwas passiert. Hier und heute. Ich habe großen Respekt davor, wie sie sich einbringen. Auch die kirchlichen und diakonischen Beauftragten arbeiten sehr aktiv daran, das Thema gezielt voranzubringen. Sie haben die Aufgabe, die Entscheidungen des Beteiligungsforums in den Gremien der evangelischen Kirche und Diakonie rückzukoppeln und sich für eine einheitliche Umsetzung in den Landeskirchen einzusetzen. Mir ist nochmal wichtig zu betonen: Das Konzept ist auf eine gleichberechtigte Mitentscheidung angelegt. Das bedeutet, dass kein Beschluss des Beteiligungsforums ohne die Zustimmung der Betroffenen erreicht werden kann. Das fordert den Betroffenen viel ab. Sie haben deshalb alle Unterstützung verdient, um diese Aufgabe, die sie nicht für sich, sondern für Dritte, nämlich alle Betroffenen von sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie, gut machen zu können. Mein Wunsch wäre es, dass das mehr gesehen wird.
Welchen Einfluss für das Thema erreichen wir über ein solches Partizipationsformat?
Das Beteiligungsforum hat viel erreicht. Das wäre auf anderen Wegen nicht möglich gewesen. Es gibt viele Arten sich für das Verhindern von sexualisierter Gewalt und für Aufklärung und Aufarbeitung einzusetzen: unter anderem in den Landeskirchen und Kirchengemeinden, in Netzwerken, über Medien. Alle Wege sind sinnvoll, um das Thema immer wieder einzubringen und dafür zu sorgen, dass es im Fokus steht. Das Beteiligungsforum hat aber darüber hinaus den Status, dass hier nicht weggehört werden kann. Mitentscheidung ist mehr als Mitwirkung. Das geht weit über andere Partizipationsformate hinaus.
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Die Kirche St. Jacobus der Gemeinde Dykhausen-Neustadtgödens. Foto: K. Jansen/urlauberkirchen.de |
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Aus den Landeskirchen Betroffene gesucht
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Die Reformierte Kirche sucht nach möglichen Betroffenen, die zwischen 1956 und 1972 in den reformierten Gemeinden Dykhausen/Neustadtgödens oder Lüneburg sexualisierter Gewalt durch Pfarrer Friedrich B. ausgesetzt waren. Der mittlerweile verstorbene Geistliche war danach in der Gemeinde Detmold-West der Lippischen Landeskirche tätig, wo entsprechende Vorwürfe gegen ihn erhoben wurden. Ein weiterer Fall aus der Lippischen Landeskirche betrifft den Pfarrdiakon Adriaan T., der Anfang der siebziger Jahre in der Gemeinde Heiligenkirchen sexualisierte Gewalt gegen zwei Kinder ausübte und dafür zu einem Jahr Haft verurteilt wurde. Auch bei diesem Tatkomplex ist möglich, dass weitere Personen betroffen waren, die sich hier melden können. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz lädt zu einem Abendgespräch über die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt mit Bischof Christian Stäblein, Pröbstin Christina-Maria Bammel und einem Awareness-Team ein. Der erste Termin findet am 11. Oktober in Cottbus, der zweite am 7. November in Berlin statt, jeweils 19 bis 21 Uhr. Details und Anmeldung hier. Die Evangelische Landeskirche in Baden sucht nach Betroffenen, denen von einem inzwischen verstorbenen Kirchenmusiker sexualisierte Gewalt angetan wurde. Die bisher bekannten Fälle ereigneten sich in den 1960er und 1970er Jahren im Rheinland, wo die Sachlage gerade unter wissenschaftlicher Begleitung aufgearbeitet wird. Der Mann war nach einem Umzug von Mitte der 1980er Jahre bis 2012 als Organist im Kirchenbezirk Breisgau-Hochschwarzwald tätig. Ansprechstellen für Betroffene finden Sie hier.
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Miriam Günderoth ist diplomierte Sozial- und Religionspädagogin. Neben ihrer Referentenstelle in der württembergischen Landeskirche kommt sie einem Lehrauftrag an der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg nach. Foto: Gottfried Stoppel |
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Praxisbeispiel»Das kommt bei uns nicht vor«
Miriam Günderoth, Referentin für Prävention sexualisierter Gewalt in der württembergischen Landeskirche, über Vorurteile, Missverständnisse und Widerstände gegen Schutzkonzepte
Im Gespräch über Schutzkonzepte wird mir immer wieder gesagt: »Das kommt bei uns nicht vor.« Auf Nachfrage, was mit »DAS« gemeint ist, wird davon gesprochen, dass es keine Tatpersonen in der Gemeinde gäbe. Für mich ist das immer ein Anlass, über die verschiedenen Bereiche und Zielgruppen von Schutzkonzepten zu sprechen. Ich erläutere dann, dass es auch um das Wissen geht, an wen ich mich wenden kann, wenn mir ein Gemeindemitglied über häusliche Gewalt berichtet, dass ich weiß, dass ich es nicht erdulden muss, wenn mich jemand während meiner Arbeit sexuell belästigt, sondern dass auch ich das Recht auf Schutz habe.
Am häufigsten bekomme ich Mails und Anrufe, die sich auf die Einsichtnahme in ein erweitertes Führungszeugnis beziehen. Es wird als Generalverdacht gegenüber Mitarbeitenden verstanden. Das ist es aus meiner Sicht nicht, denn es ist das einzige Instrument, um sicherzustellen, dass wir keine Menschen beschäftigen, die wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung verurteilt wurden. Zum einen sind wir dazu durch die Gesetze verpflichtet, zum anderen schreckt es tatgeneigte Personen auch ab, wenn wir von Anfang an unsere Haltung zu sexualisierter Gewalt deutlich machen.
Leider lese ich manche Schutzkonzepte, die eigentlich eine Anleitung für ein Schutzkonzept sind. Es geht bei einem Schutzkonzept aber nicht darum zu beschreiben, was man tun könnte, sondern was man konkret tut. Also: Welche Prozesse im Alltag haben wir zum Schutz aller Personen in Abhängigkeiten? An welche Zielgruppe richtet sich unser Angebot, und was tun wir zu deren Schutz? Was gilt bei uns konkret? Wie informieren wir Personen über ihre Rechte, Ansprechpersonen und Beschwerdemöglichkeiten?
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Die BeFo-Sprechenden Nancy Janz und Detlev Zander mit dem Bundespräsidenten. Foto: Anne Gidion
Präsidiale Würdigung
Vertretung des Beteiligungsforums beim Bürgerfest des Bundespräsidenten
Am 13. September würdigte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zahlreiche Ehrenamtliche beim Bürgerfest im Park des Schlosses Bellevue. Darunter auch Nancy Janz und Detlev Zander. Die Ehrung, so Zander, »war für mich persönlich eine hohe Wertschätzung für meine jahrelange Arbeit im Kampf um die Aufklärung und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt«. Vorranging sei aber die Arbeit in der Betroffenenvertretung des Beteiligungsforums gewesen. »Wenn man versteht, woher wir gekommen sind (Betroffenenbeirat), wird heute klar, was wir bis jetzt erreicht haben.«
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Szenenbild aus »Die Kinder von Korntal«. Foto: Charakterfilm
Kultur- und Medientipps
Kinotour und Fernsehgottesdienst
Der Dokumentarfilm »Die Kinder aus Korntal« startet am 26. September bundesweit in den Kinos. Bereits am 24. September startet die Kinotour mit Sonderveranstaltungen in zwölf Städten von Hamburg bis München (Terminübersicht hier). Der Film von Julia Charakter beschreibt einen der größten Missbrauchsfälle in der Evangelischen Kirche. In den Heimen der pietistischen Brudergemeinde im württembergischen Korntal mussten Hunderte von Kindern sexualisierte Gewalt über sich ergehen lassen – darunter auch Detlev Zander, der an den Dreharbeiten beteiligt war. »Das war oft eine große Herausforderung«, sagt er. »Wenn der Film eine breite und sachliche Diskussion zulässt, hat er seine Aufgabe erfüllt und die jahrelangen Dreharbeiten waren für mich nicht umsonst.«
An Buß- und Bettag, den 20. November 2024, wird die ARD um 10 Uhr einen Fernsehgottesdienst ausstrahlen, der sich dem Thema sexualisierte Gewalt in der Kirche widmet. An dem Gottesdienst, der am 17. November ab 10 Uhr in der Johanneskirche Pirmasens aufgezeichnet wird, wirken unter anderem Dorothee Wüst, Nancy Janz und Matthias Schwarz aus dem Beteiligungsforum mit. Nach der Fernsehübertragung wird bis 22 Uhr eine Hotline geschaltet sein.
Das Betroffenennetzwerk BeNe hat nun einen Instagram-Kanal. Dort wird es Informationen und Ankündigungen rund um BeNe geben, einer Online-Plattform, die auch solche Betroffene ansprechen soll, die nichts mehr mit der Kirche zu tun haben wollen. Die Vernetzungsplattform für Betroffene ist in der Endphase der Entwicklung.
Die amtierende Ratsvorsitzende, Bischöfin Kirsten Fehrs, hat dem DLF für das Format »Tag für Tag« ein längeres Interview zur ForuM-Studie und die Folgen für Aufarbeitung und Mitgliederentwicklung gegeben.
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Haben Sie Fragen zum Aufarbeitungsprozess in den evangelischen Kirchen oder der Diakonie, suchen Sie Informationen? Wir freuen uns über Ihre Mail mit Anregungen, Anfragen und Kritik an praevention@ekd.de. Wenn Sie das ForuM-Bulletin interessant fanden, können Sie es über diesen Link weiterempfehlen. Das nächste ForuM-Bulletin erscheint im November.
Bis dahin, herzlich Ihr ForuM-Bulletin-Team
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Sophia Groth, Frank Hofmann
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