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Ausgabe Juni 2024
ForuM-Bulletin #3 |
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Inhaltswarnung: In diesem Newsletter geht es um die Aufarbeitung sexualisierter Gewalthandlungen. Einige Schilderungen können belastend wirken. Informationen zu Hilfsangeboten finden Sie hier.
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Das Beteiligungsforum arbeitet in bunter Vielfalt am ForuM-Maßnahmenplan: Anne Gidion (Bevollmächtigte der EKD), Marlene Kowalski (Fachstelle Diakonie), Nancy Janz (Beteiligungsforum), Daniela Fricke (Beteiligungsforum), Dorothee Wüst (Beteiligungsforum), Detlev Zander (Beteiligungsforum), Christoph Meyns (Beteiligungsforum), Nadja Wersinski (Moderation). Foto: Sophia Groth |
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Liebe Leserin, lieber Leser,
zeitlich gesehen liegt die Hälfte des Weges von der Vorstellung der ForuM-Studie im Januar bis zur Synode im November hinter uns. Bis dahin sollen aus den Empfehlungen der Wissenschaftler*innen konkrete Maßnahmenvorschläge werden. Und wie sieht der Fortschritt inhaltlich aus? Das jüngste Treffen des Beteiligungsforums in Fulda brachte den Prozess deutlich nach vorne. Nun liegt ein erster Maßnahmenplan vor – Thema unseres ersten Artikels.
Außerdem berichten wir von den jüngsten Synoden der Landeskirchen, über das Fachforum Prävention der Nordkirche und über die Entfristung der Teilnahme der EKD am Ergänzenden Hilfesystem. Anne Gidion äußert sich zum Gesetzentwurf zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen, der am 5. Juni im Bundeskabinett verabschiedet werden soll.
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Für die Details geht es in Kleingruppen. Hier: Nancy Janz (Beteiligungsforum), Merit Adamietz (Fachstelle EKD), Anne Gidion (Bevollmächtigte der EKD), Detlev Zander (Beteiligungsforum), Dorothee Wüst (Beteiligungsforum). Foto: Sophia Groth |
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Sitzung des Beteiligungsforums in FuldaMaßnahmenpaket geschnürt
Die Entwicklung eines Maßnahmenplans zur Umsetzung der Empfehlungen der Aufarbeitungsstudie ForuM ist aktuell die oberste Priorität des Beteiligungsforums. Bei einer digitalen Sondersitzung am 26. April wurden die Maßnahmen bereits besprochen. Auch Thema waren die Reform der Anerkennungsverfahren und die Stellungnahme zum Gesetzesentwurf zur Stärkung der Struktur gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Die Präsenz-Sitzung am 24. und 25. Mai in Fulda war dem Maßnahmenplan gewidmet. Die Mitglieder arbeiteten zuerst in Kleingruppen, die sich mit vier Bereichen beschäftigten: Struktur-, Kultur- und Kommunikationswandel, Prävention, Intervention und Aufarbeitung.
Es wurde ein Paket aus einem Dutzend Maßnahmen geschnürt, die in den nächsten Jahren initiiert und umgesetzt werden sollen. Die einzelnen Maßnahmen wurden priorisiert und in einen Zeitplan eingepasst.
Eine zentrale Maßnahme ist die Novelle der Gewaltschutzrichtlinie. »Die ForuM-Studie hat die massiv unterschiedliche Situation in den Landeskirchen angemahnt. Wir werden die Gewaltschutzrichtlinie der EKD novellieren, um den von ForuM identifizierten Risikofaktoren zu begegnen und die schon geltenden Standards der Prävention und Intervention zu stärken und zu vereinheitlichen«, sagt Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst, Sprecherin der Beauftragten.
Eine andere Maßnahme beschreibt die Etablierung eines Rechts auf Aufarbeitung. Hier sollen Standards für Aufarbeitungsprozesse beschrieben und Pflichten für die verantwortlichen Stellen festgelegt werden. Darunter fallen auch die Beteiligung betroffener Personen und ihr Recht auf Akteneinsicht. »Gerade das Recht auf Akteneinsicht ist fundamental für Betroffene. Ich muss doch herausfinden können, was da über mich geschrieben wurde«, fordert Detlev Zander, Sprecher der Betroffenenvertretung.
Weitere Maßnahmen betreffen die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Pfarrpersonen und anderen kirchlichen Mitarbeiter*innen, die Schaffung einer zentralen Ombudsstelle, die theologische Reflexion des Themas sexualisierte Gewalt und die breitere Sensibilisierung dafür. »Es reicht nicht, irgendwo ein Plakat in einen Schaukasten zu hängen. Sensibilisierung muss zielgruppenspezifisch sein«, betont Dorothee Wüst.
Es folgen nun noch weitere Beratungsrunden, bevor der Maßnahmenplan im November abschließend in der Synode der EKD beraten werden soll. »All diese kirchenpolitischen Maßnahmen sind schön und gut«, mahnt Nancy Janz, Sprecherin der Betroffenenvertretung. »Aber wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, wie diese Maßnahmen Betroffenen helfen. Die Unterstützung betroffener Personen ist eins der obersten Ziele des Beteiligungsforums.«
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Die Referent*innen des 4. Fachforums Prävention der Nordkirche in Hamburg: Rainer Kluck (Stabsstelle Prävention), Dr. Eva Lauer-v. Lüpke (Emanuel-Stiftung), Ulrike Minar (Kinderschutzbund), Prof. Dr. Jörg Fegert (Uniklinik Ulm), Nancy Janz (Beteiligungsforum), Katharina Seiler (Stabsstelle). Foto: Frank Hofmann |
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Fachforum PräventionÜber das »Die« und »Wir« hinauskommen
Beim 4. Fachforum Prävention der Nordkirche Ende April in Hamburg stand die Frage im Mittelpunkt: Wie schaffen wir noch mehr Betroffenenorientierung? Wann hören wir auf, von »WIR« und »DIE« zu reden? Der Ulmer Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. Jörg Fegert sprach von einem »organisierten institutionellen Misstrauen gegenüber Betroffenen, die in Deutschland Tradition habe: Die Soldaten, die aus dem Ersten Weltkrieg traumatisiert zurückkamen, wurden in Deutschland als »Kriegszitterer« pathologisiert, in Frankreich dagegen als Helden gefeiert. Noch heute sei die »epistemische Ungerechtigkeit« verbreitet, dass man betroffenen Menschen erstmal wenig oder kein Vertrauen schenke. Wer Partizipation ernstnehmen wolle, müsse den Betroffenen eine Deutungsmacht einräumen und die Mittel, sie auszuüben. Dazu gehörten auch wissenschaftliche und organisatorische Unterstützung.
Ulrike Minar, Leiterin des Kinderschutzzentrums Hamburg, betonte, dass Prävention sich in einer gemeinsamen Haltung zeige. Die Bausteine eines Schutzkonzeptes müssen einrichtungsspezifisch aufeinander aufbauen und gut kommuniziert werden: »Was nützen Regeln für den Umgang mit Nähe, wenn die Kinder sie nicht kennen?« Eine Checkliste abzuarbieten sei noch kein Schutzkonzept. Darüber hinaus gab Nancy Janz einen Einblick in ihre herausfordernde Arbeit im Beteiligungsforum der EKD.
Rund 60 Interessierte nahmen an der Veranstaltung teil, die von der »Stabsstelle Prävention – Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt der Nordkirche« organisiert wurde.
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»Für manche ist die Frage ›Existiert das Böse?‹ eine philosophische. Für jene, die zu Opfern gemacht wurden, gibt es die Frage überhaupt nicht.«
Andrew Vachss (1942-2021)
US-amerikanischer Autor und Rechtsanwalt für Kinder und Jugendliche |
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Pigmentfarben auf Leinwand
Auferstehung
Eine Bild-Gedicht-Kombination der Künstlerin Christiane Lange, Mitglied der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum
Nach Missbrauch und Gewalt
bin rausgefallen aus dem Leben
lebendig von Erinnerung begraben.
Im Körper, Seele, Geist
herrscht fortan Schweigen, Schuld und Schmerz
schau mir das Leben von unten an.
Gott, greif du ein, gib Segen, dass
ich vorsichtig das Wunder träum‘
von Auferstehung
nach Ostern, Pfingsten, Weihnachten
Auferstehung
aus Angst, dem Albtraum und lebend‘gen Tod
Auferstehung
im Augenblick, weil jemand mir die Hand gereicht,
weil jemand ja zu mir gesagt
weil ich ein Ja gespürt zum Leben
Frieden, so kostbar, flüchtig und fragil
Christiane Lange ist Mitautorin des Buchs »Entstellter Himmel – Berichte über sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche« und Mitglied von »GottesSuche«, eine ökumenische Initiative für Menschen mit Missbrauchserfahrungen.
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EKD-Teilnahme am Ergänzenden Hilfesystem entfristet
Viele Betroffene sexualisierter Gewalt leiden unter Folgeschäden, die beispielsweise in einer Therapie behandelt werden. Wenn diese nicht von den Krankenkassen übernommen werden, können beim Ergänzenden Hilfesystem (EHS) Leistungen beantragt werden. Die Teilnahme der EKD am EHS wurde nun entfristet.
Das EHS ist beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben angesiedelt und unterstützt Betroffene, die als Kinder oder Jugendliche sexualisierte Gewalt erlebt haben. Ziel ist es, die entstandenen Folgen abzumildern, indem (Psycho-)Therapien, medizinische Dienstleistungen oder Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen bis zu einer Höhe von 10.000 Euro übernommen werden. Das EHS springt ein, wenn Sachleistungen benötigt werden, die zum Beispiel von Kranken-, Renten-, oder Unfallversicherungen nicht übernommen werden.
Seit 2013 sind EKD und Diakonie am EHS beteiligt. Zunächst war die Beteiligung auf einige Jahre befristet. Auch die katholische Kirche, die Caritas, wie auch andere Organisationen und einige Bundesländer zahlen Leistungen im Rahmen des EHS. 2016 und 2020 wurde die Teilnahme der EKD verlängert. Da klar ist, dass sexualisierte Gewalt ein wichtiges Thema ist und bleibt und Unterstützung der Betroffenen Priorität hat, wurde die dauerhafte Teilnahme am EHS nun beschlossen.
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Prälatin Dr. Anne Gidion ist die Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union. Foto: Karin Baumann . |
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Fragen an Anne Gidion»Vielleicht wird der Entwurf ja noch überarbeitet«
Prälatin Dr. Anne Gidion ist die Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union. Sie vertritt für die EKD die Anliegen der Kirche gegenüber Regierung und Parlament. Das Bundeskabinett wird am 5. Juni über den Gesetzesvorschlag zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen beraten. Würde sich durch den vorliegenden Entwurf nach Inkrafttreten irgendetwas an der Aufarbeitungspraxis der EKD und der Diakonie ändern?
Gidion: Der Gesetzentwurf wird noch überarbeitet und kommt danach in den Bundestag, der ihn dann beschließt, ablehnt oder zur Überarbeitung zurückgibt. Bis zu einem fertigen Gesetz vergeht also noch etwas Zeit. Die derzeitige Aufarbeitungspraxis der EKD und der Diakonie führt – verbunden mit Betroffenenbeteiligung, Prävention, Intervention – den 2011 eingeschlagenen Weg fort. Zugleich wird die ForuM-Studie ausgewertet. Vorschläge zur konsequenten Umsetzung der Erkenntnisse aus der Studie werden der Synode im November zur Beschlussfassung vorgelegt.
Was befürworten Sie an diesem Gesetz?
Wir befürworten die Stärkung des Amtes des/der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Und wir begrüßen den Weg hin zu einem Recht auf den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch. Beides ist eine wichtige Grundlage für den notwendigen Haltungswechsel und das Sichtbarmachen eines Themas, auf das viele mit Abwehr und Scham reagieren.
EKD und Diakonie haben von dem Gesetz noch mehr erwartet – zum Beispiel das verbriefte Recht auf Aufarbeitung oder Standards für die Prävention und zur Regelung von finanziellen Anerkennungsleistungen für Betroffene. Warum war das Ihrer Beobachtung nach nicht politisch durchsetzbar?
Das Recht auf Aufarbeitung hätte mit mehr Ressourcen hinterlegt werden müssen. Das Thema Geld ist in der aktuellen Haushaltslage aber bekanntlich überall strittig. Und wie gesagt: Das Gesetz ist noch nicht fertig. Die Stellungnahme der EKD und der Diakonie bzw. die Stellungnahme der Katholischen Kirche, der Caritas und den Ordensgemeinschaften sind darin eindeutig und gemeinsam klar. Vielleicht wird der Entwurf in dieser Hinsicht ja noch überarbeitet.
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Auf allen Frühjahrssynoden – im Bild die Tagung der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck in Hofgeismar – wurde das Thema Augfarbeitung sexualisierter Gewalt behandelt. Foto: medio.tv/schauderna |
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Kurzberichte aus den Landeskirchen»Ich werde weiter nerven«
Auf der Landessynode der Bayern in Coburg kamen Karin Krapp und Detlev Zander von der Betroffenenvertretung des Beteiligungsforums zu Wort. Krapp kritisierte vor allem, dass sich die Kirche nach Präsentation der ForuM-Studie so schnell geäußert hatte, wofür sich Landesbischof Christian Kopp ausdrücklich entschuldigte. Zander erzählte, dass er im Vorfeld der Synode hörte: Was will denn der schon wieder da? »Ich weiß, das Thema nervt. Ich weiß, wir nerven. Ich weiß, der Zander nervt. Aber ich werde weiter nerven.« Sonst werde sich nichts ändern.
Die Landessynode Hessen-Nassau widmete dem Thema sexualisierte Gewalt einen ganzen Tag und begann mit einem Gottesdienst, in dessen Zentrum Texte von betroffenen Personen standen. In den acht Arbeitsgruppen, drei davon unter der Leitung von betroffenen Personen, ging es um die folgenden Themen: Wie geht vertrauensvolle Nähe in der Jugendarbeit, ohne Raum für sexualisierte Gewalt zu geben? Kann ich Kindern und ihren Erzählungen Glauben schenken? Wie breche ich mein Schweigen über erlebte Gewalt? Ist der Wunsch nach Vergebung den Betroffenen gegenüber fair? Wie gestaltet man Melde- und Disziplinarverfahren so, dass sie betroffene Personen nicht zusätzlich belasten?
Die Landessynode von Kurhessen-Waldeck beschloss eine Selbstverpflichtung zum Thema sexualisierte Gewalt. Darin bringt sie das Versagen zum Ausdruck, jahrzehntelang nicht auf Betroffene gehört zu haben, und verpflichtet sich, »alles zu tun, damit denen, die Gewalt erfahren haben und deren Vertrauen missbraucht wurde, zugehört wird, ihr Leid anerkannt und das Unrecht, das ihnen geschehen ist, klar benannt wird«. Matthias Schwarz vom Beteiligungsforum, der auf beiden hessischen Synoden referierte, berichtete, dass er erst spät auf Menschen getroffen sei, die »mich nicht angezweifelt haben«. Die ForuM-Studie habe ihm deutlich gemacht: »Ich bin kein Außenseiter, sondern vollkommen normal. Das, was mir passiert ist, ist vielen anderen passiert. Ich bin kein Freak.«
Deutliche Kritik an der Aufarbeitungspraxis übte auf der Landessynode in Sachsen Joachim Heymann, Betroffener aus der Chemnitzer »Ströer-Gruppe«. Es gebe in der Landeskirche keine klare Aufgabenstellung, keine Terminleiste, keine klaren Zuständigkeiten. Viele Kirchengemeinden hätten kein Konzept zur Prävention. Hans-Peter Vollbach, der Präsident des Landeskirchenamts, kündigte eine personelle Aufstockung um 2,5 Personalstellen an, dazu weitere Stellenanteile in den 16 Kirchenbezirken.
Mit einer einstimmig beschlossenen Entschließung bekannte sich die Landessynode Schaumburg-Lippe zum systemischen Versagen, zu Versäumnissen und Fehlern beim Umgang mit Betroffenen. Darin heißt es: »Unreflektierte schnelle Entschuldigungen gegenüber Betroffenen wirken angesichts dieser Erkenntnisse unpassend und unangemessen. Sie können Betroffene erneut verletzen. Wir haben viel dazugelernt, seit wir mit ihnen im Gespräch sind. Wir suchen gemeinsam Wege, die Folgen des geschehenen Unrechts zu lindern und neues Unrecht zu verhindern.« Die Landessynode stellt fest, dass man gerade in der überschaubaren schaumburg-lippischen Landeskirche aufmerksam daran arbeiten müsse, »dass Vertrautheit nicht dazu führt, Täter*innen zu schützen«.
Auf der Gesamtsynode der Reformierten Kirche wurde darüber informiert, dass die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf sexualisierte Gewalt in zwei Kitas der Landeskirche ermittle. Außerdem gehe es um einen inzwischen pensionierten Pastor, der in den 1980er und 1990er Jahren mutmaßlich sexuelle Gewalt ausgeübt hat. In diesem Fall ziehe sich das bereits eingeleitete kirchliche Disziplinarverfahren in die Länge, da ein weiterer Fall gemeldet worden sei. Der müsse ebenfalls zunächst aufgearbeitet werden. Erst im Anschluss sei eine Anklage vor der Disziplinarkammer der EKD möglich, erläuterte die Kirchenpräsidentin Susanne Bei der Wieden. Sie beschrieb auch, was bislang in der 2023 eingerichteten Fachstelle für sexualisierte Gewalt geschehen ist. In 45 Basisschulungen seien 600 Haupt- und Ehrenamtliche der Gemeinden und Einrichtungen sensibilisiert worden. Zur Etablierung von Schutzkonzepten seien vier von neun Bausteinen verbreitet worden. Bei der Wieden: »Dies ist ein guter Anfang, aber wir haben noch nicht annähernd das erreicht, was wir erreichen wollen.«
Die Synode besserte auch das bereits vor zwei Jahren beschlossene Gesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt nach. Künftig soll es in den Regionen der Landeskirche mehrere Ansprechpersonen für die Prävention geben. Zudem ist bei Verdachtsfällen der normale Dienstweg zur Meldung nicht mehr zulässig. Verdachtsfälle müssen nun direkt bei der Meldestelle gemeldet werden. Weiter müssen bis Ende 2025 alle Gemeinden und Einrichtungen eigene Präventionskonzepte vorlegen.
Auf der Frühjahrssynode der Bremischen Kirche informierte Jutta Schmidt, stellvertretende Chefin der Kirchenverwaltung, über den Stand zweier aktueller Missbrauchsvorwürfe. In einem Fall wurde bereits im Februar dem Leiter einer kirchlichen Einrichtung fristlos gekündigt. Die Kirche habe Strafanzeige gestellt, die Staatsanwaltschaft ermittele. Der zweite Fall sei minderschwer und betreffe kein strafrechtlich relevantes Verhalten. Der Vorwurf werde derzeit kirchenintern aufgearbeitet. Anfang Mai hat die Fachstelle für sexualisierte Gewalt unter der Leitung von Nancy Janz, gleichzeitig Sprecherin des Beteiligungsforums der EKD, ihre Arbeit aufgenommen.
Die Nordkirche und die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz samt ihrer diakonischen Landesverbände haben mit der konkreten Umsetzung zum Aufbau der Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommissionen (URAK) Verbund Nord-Ost begonnen. Die ersten Betroffenenforen finden am 3. Juni in Hamburg und am 10. Juni in Berlin statt. Von sexualisierter Gewalt in der Kirche betroffene Menschen sind ausdrücklich eingeladen, an diesem Angebot zur Vernetzung und Etablierung von Betroffenenbeteiligung teilzunehmen. Mit externer Moderation und Supervision wird es um ein erstes Kennenlernen untereinander gehen. Ein Treffen gemeinsam mit Kirchenleitenden ist für einen späteren Zeitpunkt geplant. Zur Möglichkeit der Mitarbeit in der URAK wird im Herbst 2024 ein Workshop angeboten.
Für das erste Betroffenenforum für die URAK West laden die Landeskirchen Rheinland, Westfalen und Lippe sowie das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe am 21. Juni in Dortmund ein. Weitere Informationen auf Nachfrage hier. Für die URAK Baden und Pfalz findet das vorbereitende Betroffenenforum am 16. Juni in Mannheim statt. Weitere Infos hier.
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Matthias Schwarz engagiert sich auf verschiedenen Ebenen gegen sexualisierte Gewalt. Foto: Julia Stroh |
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Mitglieder im Beteiligungsforum (3):
Matthias Schwarz »Ich bin nicht der Kirche treu geblieben, sondern meinem Glauben«
Matthias Schwarz, Mitglied der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum, ist Pfarrer im Ruhestand und hat in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau erst eine viertel und dann eine halbe Stelle zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt innegehabt.
Wie sind Sie trotz Ihrer Gewalterfahrungen der Kirche treu geblieben und warum haben Sie sogar Ihr Berufsleben der Kirche gewidmet?
Schwarz: Das ist eine lange Geschichte, für die hier sicherlich nicht der Raum ist, um sie zu erzählen. Aber kurz gesagt: Ich bin nicht »der Kirche« treu geblieben sondern meinem Glauben, der mich durch viele Tiefen in meinem Leben getragen hat. Dieses Vertrauen in Gott (und »treu« hängt mit »trauen« zusammen) war das Entscheidende. So habe ich auch mein Berufsleben nicht »der Kirche« gewidmet. Das mag jetzt vielleicht schräg, überheblich, fromm ... oder was auch immer klingen, aber mein Berufsleben habe ich den Menschen und Gott gewidmet. Es war mir immer ein Anliegen, einen Raum zu schaffen, in dem Menschen und Gott in Kontakt kommen, ob in der Gemeinde oder in meiner Arbeit im Haus der Stille. Die Kirche ist für mich der Rahmen, in dem dies in einer guten Weise möglich war, trotz aller meiner Anfragen an die Institution.
Wie erleben Sie die Arbeit im Beteiligungsforum?
Die Diskussionen im BeFo erlebe ich zum einen als sehr anstrengend und mühsam. Gerade bei der Arbeit am Disziplinarrecht und den Anerkennungsleistungen kommt es oft auf jede Formulierung an. Wir müssen manchmal darum ringen, dass wir die gleichen Worte für die gleiche Sache verwenden. Da zeigt sich halt, dass die Sichtweise von Betroffenen eine andere ist als die von Jurist*innen und kirchenleitenden Menschen. Zum anderen erlebe ich die Arbeit im BeFo aber auch als sehr bereichernd. Ich habe wirklich den Eindruck, dass die Beauftragten auf uns hören, von uns lernen wollen. Und umgekehrt entdecke ich, dass manche*r Beauftragte*r es im Dschungel der Institution bei allem guten Willen nicht so einfach hat.
Manchmal wird kritisiert, dass das Thema sexualisierte Gewalt zwar in den Gremien der EKD angekommen sei, nicht jedoch in den Gemeinden. Wie empfinden Sie das?
Das erlebe ich tatsächlich sehr unterschiedlich. Meist hängt es davon ab, ob in den Gemeinden oder im Umfeld Fälle von sexualisierter Gewalt bekannt geworden sind. Da ist oft das Interesse sehr groß, vor allem Fragen der Prävention – also: Wie können wir so etwas verhindern? – stehen im Fokus. Bei anderen Gemeinden ist eher zu hören: Bei uns war ja nichts, deshalb müssen wir uns darum nicht kümmern. Ich merke aber, dass da, wo ich als Betroffener mit Kolleg*innen, Mitarbeitenden ins Gespräch komme, das Interesse nochmal anders geweckt wird. Denn es geht dann nicht mehr um eine »theoretische« Sache, sondern um Menschen.
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Das Schutzkonzept-Haus des Kirchenkreises Gütersloh zeigt das Fundament und die verschiedenen Pfeiler der Prävention und Intervention. Grafik: Manuela Kleingünther |
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Praxisbeispiel Evaluation des Schutzkonzeptes im Kirchenkreis Gütersloh
Im Jahr 2021 wurde im Evangelischen Kirchenkreis Gütersloh begonnen, das Schutzkonzept zur Prävention sexualisierter Gewalt von einer multiprofessionell besetzten Arbeitsgruppe unter der Leitung einer externen Kraft zu erarbeiten. In der Sommersynode 2022 wurde das fertige Konzept beschlossen. Die Umsetzung der in diesem Konzept aufgeführten Schutzmaßnahmen sollte und soll zukünftig – so wurde es im Qualitätsmanagement des Konzeptes festgeschrieben – ein Jahr nach Inkrafttreten und dann alle drei Jahre überprüft werden.
Im Bereich der Intervention wurden detailliertere Handlungspläne installiert. Diese Notwendigkeit war unter anderem auch im Rahmen einer Fallbearbeitung deutlich geworden. Weiterhin wurde die Umsetzung diverser im Konzept benannter Maßnahmen überprüft. Hier zeigte sich, dass viele wohlgemeinte Schritte im Alltag noch nicht ihren Platz gefunden hatten. Zuständige Stellen wurden an ihre Aufgaben erinnert.
Ein Problem der Erarbeitung unter Corona-Bedingungen war, dass allerlei praktische Rückkopplung fehlte. Diesem wurde im Zuge der Überarbeitung Rechnung getragen. Beispielsweise wurde für das im Kirchenkreis durchgeführte Konficamp ein Fragebogen für die Teilnehmenden erstellt, der in diesem Jahr verwendet und ausgewertet wird. Die Antworten werden im Zuge der nächsten Überarbeitung in drei Jahren einfließen oder bereits im Alltag Beachtung finden.
Auch der Bereich der Schulungen wurde überarbeitet. Wie an so vielen anderen Stellen zeigt sich, dass Prävention ein sich stetig entwickelndes und lernendes Arbeitsfeld ist. Für die Ausbildung ehrenamtlicher Jugendmitarbeiter*innen gibt es in der Evangelischen Kirche in Westfalen mittlerweile ein für jugendliche Teilnehmende angepasstes Schulungskonzept.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Konzept sich inhaltlich durch die Überarbeitung verändert und der jetzigen Situation angeglichen hat. Es hat sich als sehr hilfreich erwiesen, dass sich einzelne Personen sehr intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt haben, ihre Expertise sowie die Erfahrungen aus diesem Prozess in die Breite bringen und als Kommunikationspartner*innen bei allen Fragen rund um das Thema Schutzkonzept zur Verfügung stehen. Seinen Sitz im Alltag der Mitarbeitenden des Kirchenkreises und der angeschlossenen Körperschaften und Gemeinden muss das Konzept nach wie vor finden. Das Wachhalten des Themas ist Aufgabe aller! Manuela Kleingünther
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»Wir kommen doch erst dann weiter, wenn tatsächlich eine Rückkopplung auf die gemeindliche Ebene stattfindet. Es ist nicht die einzelne Studie, kein einzelner Bischof, der sich mehr oder weniger glaubhaft entschuldigt, sondern es ist die Anstrengung aller, die ein System prägen.«Kerstin Claus,
Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, im Podcast Himmelklar |
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Szenenbild aus »der weg zur hölle ist mit guten absichten gepflastert«, einem Stück des Theaters für Niedersachsen. Foto: Jochen Quast
Kultur- und Medientipps
Ein Theaterstück, ein theologischer Artikel, ein Podcast und ein Webinar
Regisseurin Ayla Yeginer hat mit Studierenden in monatelanger Recherche Berge von Material gesichtet und zahlreiche Interviews geführt – mit Betroffenen, Betroffeneninitiativen und Vertreter*innern der Kirche. Die Ergebnisse bilden die Grundlage des Bühnenstücks »der weg zur hölle ist mit guten Absichten gepflastert«, das das Ensemble des Theaters für Niedersachsen noch an zwei Abenden im Hildesheimer Stadttheater aufführt (17. und 27. Juni, jeweils 19:30). Weitere Infos und Karten hier.Der Berliner Theologie-Professor Notger Slenczka hat sich in einem Beitrag für Communio mit den theologischen Folgerungen aus der ForuM-Studie beschäftigt. An der Vielzahl seiner Anmerkungen wird deutlich, dass er die Auswertung sehr genau gelesen hat. Seine wohl wichtigste Schlussfolgerung: »Die ForuM-Studie muss zum Anlass genommen werden, sich darauf zu besinnen, dass der christliche Glaube zur Rechtfertigung der Untat verkommt, wenn die Rede von der Vergebung nicht mehr in den Kontext der Christologie gestellt und die Unselbstverständlichkeit der Vergebung betont wird. Hier liegt unbedingt eine Bringschuld der akademischen Theologie und Ausbildung.« Eine andere Sicht auf das Thema Rechtfertigungslehre und Aufarbeitung bietet der Eule-Podcast von Philipp Greifenstein mit Prof. Katharina von Kellenbach, die sich für eine stärkere Einbeziehung der Reue ausspricht. Reue könne dort entstehen, »wo schuldhafte Vergangenheiten als Ressource und Rohmaterial der Zukunft anerkannt werden«. Diese Denkbewegung fasst sie in das Bild des »Kompostierens von Schuld«. Einen Rückblick auf die Entwicklung der EKD in der Aufarbeitungsdiskussion und eine Einschätzung der aktuellen Lage gibt Detlev Zander, Sprecher der Betroffenenvertretung, in diesem Interview mit dem Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland. Das Magazin chrismon veranstaltete ein Webinar über Macht und Missbrauch in der evangelischen Kirche, in der die ForuM-Studie vorgestellt und anschließend mit Kirchenpräsident Volker Jung (Hessen-Nassau) und Matthias Schwarz (siehe Vorstellung oben) diskutiert wurde. Die Aufzeichnung steht noch online. Wer den Präsentationsteil auslassen und direkt zu dem Gespräch springen möchte, setze den Cursor direkt bei Minute 11:44.
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Wir hoffen, dieser Newsletter hat Ihren Erwartungen entsprochen. Wenn Sie das ForuM-Bulletin interessant fanden, freuen wir uns über eine Weiterempfehlung, indem Sie diesen Link verschicken. Kritik, Fragen und Anmerkungen sind willkommen an die Mailadresse praevention@ekd.de. Das nächste ForuM-Bulletin erscheint im Juli. Bis dahin, herzlich Ihr Bulletin-Team
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Sophia Groth und Frank Hofmann
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